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23. 05. 2011

BRÜDERLE-Interview für den "Focus"

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem "Focus" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Olaf Opitz und Frank Thewes:

Frage: Herr Brüderle, Ihr neuer Parteichef Philipp Rösler verspricht, dass die FDP ab sofort liefern wird. Was denn?

BRÜDERLE: Wir müssen die Ziele des Koalitionsvertrages umsetzen. Dazu zählen Steuervereinfachung, Bürokratieabbau, Bildungsreformen und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Hinzu kommen der schnelle Umstieg auf regenerativen Energien und die Sicherung des Euros. Die Hälfte der Regierungszeit ist um. Wir müssen Tempo machen.

Frage: Setzt Rösler sich und die Fraktion mit der Ansage nicht zu sehr unter Druck?

BRÜDERLE: Genau das hat die Partei von ihm erwartet. Denn die FDP konnte die Erwartungen aus dem Wahlkampf 2009 bislang nicht erfüllen. Sicher gab es Gründe dafür wie die Finanz- und Euro-Krise, aber die Menschen erwarten, dass jetzt geliefert wird.

Frage: Wir sehen, dass die Regierung die Bürger wegen Euro-Krise und Energiewende eher zusätzlich belasten als entlasten will. Haben Sie Ihr Ziel eines gerechteren Steuersystems schon aufgegeben?

BRÜDERLE: An erster Stelle steht für uns die Haushaltskonsolidierung. Die Schuldenbremse steht jetzt in der Verfassung - ein wichtiges Ziel auch von uns Liberalen. Grün-Rot würde nicht sparen, sondern die Steuern erhöhen.

Frage: Selbst aus Ihren Reihen kommen nun unpopuläre Vorschläge wie das Streichen des Elterngeldes. Wollen Sie das wirklich?

BRÜDERLE: Die erwarteten Erfolge sind beim Elterngeld ausgeblieben. Werden die Ziele nicht erfüllt, muss die Koalition diese Transferleistung kritisch überprüfen. Es geht immerhin um mehr als vier Milliarden Euro im Jahr. Sozialleistungen müssen zielgenau angekommen.

Frage: Die Steuereinnahmen sprudeln - aber viele Menschen glauben, dass die Mehreinnahmen für Euro-Krisenländer wie Griechenland draufgehen statt für Steuerentlastungen daheim.

BRÜDERLE: Die Hilfen für die Krisenländer und eine mögliche Entlastung dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen. Wir helfen nur unter strikten Bedingungen. Meine Fraktion wird alles tun, dass das so bleibt. Bevor deutsche Steuerzahler einspringen, müssen die haften, die am enormen Verschulden im Süden Europas verdient haben.

Frage: Trotzdem sind Sie nicht gegen Hilfen. Warum?

BRÜDERLE: Deutsches Geld gibt es nur mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages und wenn das Einstimmigkeitsprinzip auf europäischer Ebene gewahrt bleibt. Wenn wir anderen Ländern in schwieriger Lage helfen, dann stabilisieren wir damit den Euro, von dem unser Land sehr stark profitiert. Aber unser starker Aufschwung ist das Verdienst fleißig arbeitender Menschen und richtiger politischer Weichenstelllungen. Kein Industrieland ist besser aus der Krise gekommen als Deutschland. Schwarz-Gelb wirkt, wir sind auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung.

Frage: Was noch nicht wirkt, sind doch die mal in Aussicht gestellten Steuerentlastungen?

BRÜDERLE: Schwarz-Gelb ist mit einer Steuerentlastung von 24 Milliarden Euro gestartet. Die FDP wird die Steuergerechtigkeit weiter vorantreiben. Die arbeitenden Menschen, die den größten Teil des Steueraufkommens erwirtschaften, müssen am Aufschwung der Volkswirtschaft teilhaben. Nach der Haushaltskonsolidierung muss es um steuerliche Entlastungen gehen. Nicht beim Spitzensteuersatz, sondern in der Mittelschicht. Wenn von 100 Euro Lohnerhöhung 70 Euro an Abgaben weggehen, empfinden das die Bürger als ungerecht. Diesen negativen Effekt der kalten Progression muss die Koalition für untere und mittlere Einkommen bis 2013 anpacken.

Frage: Bei CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble werden Sie damit aber auf Granit beißen.

BRÜDERLE: Es ist ja kein Fehler, dass der Finanzminister das Geld zusammenhält. Aber Deutschland erwartet ein anhaltend hohes Wachstum auch in den kommenden Jahren. Deswegen müssen wir die Menschen, die anpacken und nicht auf die Uhr schauen, anständig entlasten.

Frage: Die Koalition hat im Bundesrat keine Mehrheit für eine Senkung der Einkommensteuer. Für einen reduzierten Solidaritätszuschlag brauchen sie die Länderkammer jedoch gar nicht. Ist das eine Option?

BRÜDERLE: Die Absenkung des Solidaritätszuschlages wäre eine denkbare Möglichkeit zur steuerlichen Entlastung der Bürger. Der Solidarzuschlag ist ja nicht zweckgebunden und fließt in den allgemeinen Finanzhaushalt. Den Soli zahlen Steuerzahler in alten wie neuen Bundesländern. Mittlerweile nach mehr als 20 Jahren deutsche Einheit sind die Transferleistungen von West nach Ost niedriger als das Aufkommen des Solidaritätszuschlages. Der Aufbau Ost war also durchaus erfolgreich. Wenn wir die Ergänzungsabgabe senken sollten, wäre das kein Abbau von Solidarität, sondern eine generelle Steuerentlastung für alle in West und Ost. Das kann die Koalition mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages allein auf den Weg bringen.

Frage: Warum ist Ihnen die Steuerentlastung so wichtig, weil es noch eine FDP-Marke ist?

BRÜDERLE: Neben Sozialer Marktwirtschaft, Bürgerrechten und Bildung gehört Steuergerechtigkeit zum Markenkern der FDP. Bei Steuersenkungen, die mit einer soliden Haushaltspolitik kombiniert werden, bin ich Überzeugungstäter. So verhindern wir auch, dass Fachkräfte Deutschland verlassen. In den vergangenen Jahren waren es schon 100 000 Menschen im Saldo. Wir müssen auch mit einem Punkte-System zehntausende ausländische Spezialisten in unser Land holen. Deutschland fehlen schon jetzt 36 000 Ingenieure und 70 000 IT- Experten.

Frage: Weniger Netto vom Brutto bleibt vielen Bürgern auch, wenn die Koalition bei der Energiewende viel zu sehr auf staatliche Planvorgaben statt auf Wettbewerb setzt.

BRÜDERLE: Die FDP passt hier auf. Deswegen setzen wir auf einen europäischen Strommarkt. Solarstrom muss vor allem dort produziert werden, wo die Sonne scheint - und Windstrom dort, wo der Wind stark weht. Für den Stromtransport von Ost- und Nordsee zur Industrie des Südens braucht Deutschland mehr Leitungen. Über 4 000 Kilometer Stromautobahnen müssten gebaut werden. Nötig sind auch Pumpspeicherwerke in den Bergregionen.

Frage: Für Solarstrom gibt es staatliche Preisgarantie von 20 Jahren. Ist das noch Marktwirtschaft?

BRÜDERLE: Jedenfalls dürfen wir marktwirtschaftliche Prinzipien bei der Förderung der Erneuerbaren Energien nicht aus dem Blick verlieren. Photovoltaik erzeugt in Deutschland nur drei Prozent des Stroms, erhält aber 52 Prozent der EEG-Umlage. Das sind fast 13 Milliarden Euro. Die Höhe der Stromvergütung und die zeitliche Dauer müssen wir bei der Solarenergie weiter schrittweise reduzieren.

Download der gesamten Pressemitteilung im PDF-Format:
481-Bruederle-Interview-Focus.pdf (2011-05-23, 184.74 KB)


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